Karlsruhe3 (Verlag Versicherungswirtschaft), 2020; Preis: 34,00 Euro; 195 Seiten; ISBN: 978−3−96329−298−9
Wer in Deutschland gesetzlich krankenversichert ist, hat im Regelfall einen Anspruch auf ein Krankengeld ab dem 43. Tag einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit. Dieses beträgt maximal 70 Prozent des vorherigen Bruttoeinkommens, maximal jedoch 90 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Dabei kann es speziell bei Gutverdienern durchaus zu einer erheblichen Versorgungslücke zwischen dem bisherigen Nettoeinkommen und dem Krankengeld nach Steuern kommen. Nicht jeder privat Krankenversicherte hat überhaupt einen Anspruch auf Krankentagegeld. Gerade für Selbstständige besteht seit dem 01.01.2009 keine Verpflichtung mehr, eine entsprechende Erweiterung ihres Versicherungsschutzes zu vereinbaren (S. 4–5).

Zielgruppe sind jene, die die Nettolücke schließen wollen
Um diese Lücke zu schließen, bietet die Versicherungswirtschaft Krankentagegeldversicherungen an. Voraussetzung für den Leistungsanspruch ist das Vorliegen einer bedingungsseitigen Arbeitsunfähigkeit. Markus Sauer geht diesem Thema nach und berücksichtigt dabei die maßgebliche Rechtsprechung, mit der sich deutsche Gerichte hierbei auseinandersetzen mussten (S. 2). Dabei wird auch auf aktuelle Besonderheiten wie das Zusammentreffen mit öffentlich-rechtlichem Verdienstausfall wegen Quarantäne im Zusammenhang mit den Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie eingegangen. Sauer schreibt hierzu unter anderem:
„Versicherte können Quarantänemaßnahmen nach § 30 IfSG oder beruflichen Tätigkeitsverboten nach § 31 IfSG unterliegen. Aus diesen Maßnahmen entstehen i.d.R. Entschädigungsansprüche des Verpflichteten gegen sein Bundesland, § 56 Abs. 1 und Abs. 7 IfSG. […] Unternehmen, die sich entscheiden, ihren Versicherten schnell zu helfen und sie nicht auf die Leistungen nach dem IfSG zu verweisen, können sich gegen den Rückgriff durch das Bundesland zumindest teilweise absichern, in dem sie von den Versicherten die Erklärung verlangen, sie von im Wege des Rückgriffs geltend gemachten Forderungen des Bundeslandes in Höhe der geleisteten Krankentagegeldzahlungen freizustellen.“ (S. 3–4)

Versicherungsanspruch auf Krankentagegeldversicherung als Sonderfall
Interessant ist auch die Auseinandersetzung des Autors mit dem Thema „Krankentagegeld aus dem Basistarif“, da sich der gesetzliche Kontrahierungszwang hier auch auf das Krankentagegeld bezieht (S. 5).
Lange Zeit war strittig, ob die Krankentagegeldversicherung als Summen- oder als Schadenversicherung anzusehen sei. Mit Urteil aus 2001 entschied der BGH, dass sie als Summenversicherung anzusehen sei, was praktisch bedeutet, dass die vereinbarte Leistungshöhe auch über dem zum Schadenzeitpunkt aktuellen Nettoeinkommen der vergangenen 12 Monate liegen könne. Sauer begründet, weshalb er diese Entscheidung für nicht zwingend hält. Aus dem Urteil ergäbe sich auch die fehlende Regressmöglichkeit nach § 86 VVG (S. 6–7).
Vorsätzliche Pflichtverletzung kann den Versicherungsschutz gefährden
Der Autor geht auf mehreren Seiten auf die Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten durch leichte bzw. grobe Fahrlässigkeit im Rahmen der Antragsstellung ein. Ebenso berücksichtigt er die Einrede der arglistigen Täuschung des Versicherers sowie schuldlose Anzeigepflichtverletzungen von Seiten des Versicherungsnehmers nach § 194 Abs. 2 Satz 3 VVG (S. 10–13).
Ist ein Vertrag wirksam zustande gekommen, so können Leistungsansprüche gegen den Versicherer nur dann erhoben werden, wenn der Beginn einer bedingungsseitig definierten Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen werden. Hierfür führt der Autor auf, dass der Leistungsfall die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit durch einen approbierten Arzt bedarf, wodurch ein angestellter Arzt eines Medizinischen Versorgungszentrums nicht in Frage komme (S. 15). Weitere Voraussetzung ist die Behandlung einer Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der vereinbarten Karenzzeit. Dabei beachtet der Autor auch die Probleme, die durch eine ärztlich vor dem Ausstellungsdatum der Bescheinigung diagnostizierte Arbeitsunfähigkeit resultieren können.
„Der Versicherungsfall endet, wenn nach medizinischem Befind keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehen. Das Ende des Versicherungsfalls fällt also nicht notwendigerweise mit dem Ende der Leistungspflicht des Versicherers zusammen, da Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit zu verschiedenen Zeitpunkten enden können.“ (S. 16)
Sehr ausführlich geht Sauer auf das „Mutterschaftsgeld“ ein, wie er das „Krankentagegeld während der Mutterschutzfristen und am Entbindungstag“ tituliert, dabei berücksichtigt er auch durch unterschiedliche Karenzzeiten aufgeworfene Probleme, die Anrechnung von Elterngeld und Mutterschaftsgeld zu Lasten des Bundes sowie die Anwendbarkeit mögliche Leistungsansprüche vor dem Hintergrund, dass es sich bei einer Schwangerschaft um keine Krankheit handelt (S. 18–26).
Gerade bei Selbstständigen und Freiberuflern im Home-Office stellt sich oft die Frage, ob eine bedingungsseitig geforderte 100%ige Arbeitsunfähigkeit überhaupt vorliegen kann.
„So dürfte z.B. der Einwand, dass das Führen von Telefongesprächen als unbedeutender Teil zur beruflichen Tätigkeit gehöre, der Versicherte aber durch seine telefonische Anzeige der Arbeitsunfähigkeit gezeigt habe, dass ihm dieser Teil noch möglich sei, für die meisten Berufsbilder außerhalb einer zulässigen Auslegung des Begriffs der „völligen“ Arbeitsunfähigkeit liegen.“ (S. 30)
Isolierte Tätigkeiten müssen Sinn ergeben
Auch der BGH war bereits 2013 auf eine sozialadäquate Betrachtung bei der Bewertung einer „vollständigen Arbeitsunfähigkeit“ eingegangen (BGH NJW 2013, 2121). Analog zur Berufsunfähigkeitsversicherung komme es nicht nur im damals verhandelten Fall eines Rechtsanwaltes, der nach einem Schlaganfall an Dyslexie (Leseschwäche) erkrankten Rechtsanwaltes, sondern auch bei üblicherweise Mitarbeiter beaufsichtigenden Selbstständigen auf die konkrete Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit in gesunden Tagen an (S. 30–31). Hierzu führt Sauer diverse Beispiele aus der Rechtsprechung an und berücksichtigt auch Arbeitsunfähigkeit infolge von Mobbing (S. 32–34).
Wer an eine mögliche Umorganisation des Betriebes von Selbstständigen denkt, hat meist zunächst die Berufsunfähigkeitsversicherung im Kopf, doch auch hier berücksichtigt der Autor die zur Krankentagegeldversicherung ergangene Rechtsprechung (S. 35).
Ganz geringfügige Arbeitsversuche unschädlich
Wann genau eine Arbeitsunfähigkeit endet, wird nicht immer einfach zu beantworten sein, zumal eine solche durchgängig an jedem einzelnen Tag des Krankentagegeldbezuges bestehen muss (S. 36). Dabei geht Sauer auch auf Arbeitsversuche ein, die dem Zweck dienen, wieder zurück ins Arbeitsleben zu finden (S. 37). Auch Umschulungsmaßnahmen, eine (versuchte) Wiedereingliederung bzw. die Aufnahme einer gänzlich anderen Erwerbstätigkeit erhalten seine Beachtung (S. 38–41).
Kapitel V geht sehr umfangreich auf die verschiedenen Obliegenheiten im Zusammenhang mit der Krankentagegeldversicherung ein (S. 43–81). In diesem Zusammenhang wird unter anderem auf ein Urteil des OLG Düsseldorf (r+s 1997, 299) eingegangen, wonach ein Versicherer nicht seine Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten abschließend ablehnen dürfe, um sich dann später auf einen regelmäßigen Nachweis der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit zu berufen (S. 55).
Nur schmerzfreie und gefahrlose Operationen könnten in Frage kommen
Ebenfalls Beachtung findet die Verpflichtung der versicherten Person, sich um eine Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit zu bemühen. Dabei stellt sich die berechtigte Frage, ob damit eine Pflicht verbunden ist, sich zwecks Schadenminderung nach § 254 BGB einer Operation zu unterziehen. Hierbei stellt Sauer berechtigte Vergleiche zur Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Berufsunfähigkeitsversicherung an (S. 69–70).
Gerade vor dem Hintergrund der Coronakrise von Interesse sind auch mögliche Obliegenheiten nach § 9 Abs. 5 MB/KT im Zusammenhang mit einem schleichenden Berufswechsel, der Aufnahme eines Zweitberufs oder gar vollständigen Berufswechsel (S. 70–73). Dabei berücksichtigt Sauer an einer späteren Stelle seines Buches auch eine mögliche Beendigung der Versicherbarkeit durch den Wechsel der versicherten Person z.B. in einen nach den Annahmerichtlinien des Versicherers nicht versicherbaren Beruf, eine (vorübergehende) Arbeitslosigkeit eines Angestellten, die Berufsaufgabe eines Selbstständigen oder den Bezug von Leistungen als „Hartz-IV-Aufstocker“ (S. 131 – 137).
„Bereits im Jahre 2002 hatte der BGH entschieden, dass kein Wegfall der Versicherungsfähigkeit vorliegt, wenn die berufliche Tätigkeit (z.B. Arbeitslosigkeit, Gewerbeabmeldung) während der Arbeitsunfähigkeit endet.“ (S. 134)
Definition des zugrunde liegenden Einkommens oft intransparent
Kapitel VI geht auf die versicherte Höhe des Leistungsumfangs ein. Zunächst einmal ist eine Abhängigkeit von Nettoeinkommen und versicherbarem Krankentagegeld festzuhalten (S. 83). Dabei unterscheidet Sauer zwischen der Berechnung des versicherbaren Tagessatzes nach den aktuellen MB/KT bei Angestellten und Selbstständigen (S. 84–86). Um Transparenz- und Berechnungsschwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, empfiehlt Sauer:
„Die geschilderten Schwierigkeiten könnten vermieden werde, wenn zu Beginn des Versicherungsvertrags zwischen dessen Parteien geklärt würde, wie sich für die die konkrete berufliche Tätigkeit der versicherten Person das Nettoeinkommen berechnen soll.“ (. 87)
Gerade, wenn gewerbliche Einkünfte mit Einkünften aus einer nicht selbstständigen Tätigkeit zusammenfallen, ist eine entsprechende Klärung im Vorfeld dringend angeraten.
Nicht alles ist versicherbar
Immer wieder Streitigkeiten entstehen bei der Anwendung des § 4 Abs. 9 MB/KT bei Behandlung einer versicherten Person in einer so genannten „gemischten Anstalt“. Grundsätzlich sehen die Versicherer ihre Leistungspflicht an eine vorherige Zusage geknüpft, gleichzeitig jedoch, soll der Versicherte stets um eine möglichst schnelle Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit bemüht sein. Dieser mögliche Widerspruch war bereits Thema gerichtlicher Auseinandersetzungen (S. 101–102).
Auch andere Leistungsausschlüsse verdienen Sauers Beachtung, so z.B. die Wohnsitzklausel nach § 5 Abs. 1 f) unter Berücksichtigung eines gewöhnlichen, dauerhaften oder vorübergehenden Aufenthaltes außerhalb des Geltungsbereiches des Versicherungsvertrages (S. 106–107).
In diversen Schulungen und Fachbeiträgen wird die Unterscheidung zwischen dem Begriff der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Krankentagegeld- in Abgrenzung zur Berufsunfähigkeitsversicherung thematisiert. Auf die daraus resultierenden Probleme geht auch Sauer ein (S. 109–118). So kann es etwa dazu kommen, dass der Krankentagegeldversicherer seine Leistungspflicht deshalb verweigert, weil eine parallel dazu bestehende Berufsunfähigkeitsversicherung eintrittspflichtig wäre. Problematisch ist es auch, wann die Fiktion einer voraussichtlich dauernd bestehenden Berufsunfähigkeit erfüllt ist (siehe BGH VersR 2010, 1171, 1173).
Anwartschaftsversicherung kann angeraten sein
Berücksichtigung findet der Fall, wenn die Beendigung der Krankentagegeldversicherung dann erklärt werden soll, wenn eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente konkret bezogen wird. Die Wirksamkeit solcher Regelungen setze voraus, dass der Versicherer eine Anwartschaftsversicherung für den Wegfall der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit konkret angeboten hat. Dargestellt wird von Sauer der Fall, wonach eine versicherte Person gleichzeitig Anspruch auf Leistungen einer Krankentagegeld- sowie einer Berufsunfähigkeitsversicherung hat (S. 125–126). Besonderheiten im Einzelfall sind auch ein Leistungsanspruch aus einer „Loss-of-License“-Versicherung (S. 127–128) oder die Rückforderung von Krankentagegeld wegen des Bezugs einer Berufsunfähigkeitsrente (S. 128–130),
In Kapitel IX geht Sauer auf das Erreichen der Altersrente und den damit einhergehenden grundsätzlichen Wegfall des Anspruches auf Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung ein. Dabei verdient auch der allmähliche Übertritt in das Rentnerleben nach dem 2017 in Kraft getretenen Flexirenten Gesetz seine Beachtung. Hier könnte etwa eine Reduzierung des Krankentagegeldes eine adäquate Lösung sein, um dem zwar vorhandenen, aber reduzierten Einkommen gerecht zu werden (S. 119–121).
Kapitel XIII betrachtet die Beratungspflichten des Versicherers, wozu etwa die Empfehlung zum Abschluss einer Anwartschaftsversicherung nach Eintritt von Berufsunfähigkeit zählen könnte (S. 141). Es fehlt jedoch ein eigenständiges Kapital zu den Beratungspflichten des Versicherungsvermittlers.
DSGVO findet keine Berücksichtigung
Großen Raum nehmen die Kündigungsrechte des Vertrages durch den Versicherer sowie den Versicherungsnehmer ein (S. 143–153). Daran anschließend geht Sauer auf prozessuale Themen wie die Bestimmung des Streitwertes bei Rechtsstreitigkeiten ein (S. 155–165).
Aktuelle Themen, die betrachtet werden, sind neben dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (S. 103–104) auch der aktuelle Umgang mit personenbezogenen Gesundheitsdaten (S. 167–169), nicht jedoch die an dieser Stelle auch erwartete Berücksichtigung der DSGVO. Auch wird zwar auf das Beitragsanpassungsrecht des Krankenversicherers eingegangen (S. 173), lediglich am Rande jedoch auf die aktuelle Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem so genannten „Treuhänderstreit“.
Das Buch wird abgerundet durch den Abdruck der Musterbedingungen mit Stand Januar 2018.
Fazit: Es fällt immer wieder positiv auf, dass Sauer ergangene Rechtsprechung durchaus kritisch hinterfragt, so z.B. auf S. 8 zur steuerlichen Berücksichtigung, auf S. 14 zur gerichtlichen Bewertung einer myotonen Dystropie vor dem Hintergrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes oder auf S. 56 im Zusammenhang mit einer vom Versicherer mitverschuldeten Obliegenheitsverletzung. Nicht selbstverständlich ist auch das sehr umfangreiche Stichwortverzeichnis.
Insgesamt handelt es sich um eine sehr umfassende Zusammenfassung des Themas, das für jeden Vermittler ebenso wie für mit der Materie befasste Juristen einen sehr guten Überblick bietet und entsprechend empfehlen ist.